Volkskrankheit Demenz
Im engeren Bekanntenkreis meiner Familie haben wir eine ältere Dame, die 80 hat sie schon überschritten. In letzter Zeit sind es kleine Dinge, die uns Sorgen bereiten: Sie vergisst Verabredungen, fragt uns, ob wir Onkel Hubert, der letztes Jahr verstarb, noch kennen, dabei haben wir viele Familienfeste zusammen verbracht. Und an Weihnachten lagen die Geschenke für Familie und Bekannte mit ihrem eigenen Namensschild unterm Weihnachtsbaum. All das ist ziemlich untypisch für sie, die immer eine große Familie gemanaged hat. Ist das eine normale Vergesslichkeit oder geht dies schon darüber hinaus?
Ich treffe mich mit meinem Kollegen, Herrn Gerd Evers, er ist Pflegedienstleiter in unserer Caritas-Sozialstation Oberhavel. Ich will ihm ein paar Fragen stellen:
Was läuft da eigentlich ab, wenn ein Mensch an Demenz erkrankt? Welche Symptome weisen auf die Krankheit hin?
Gerd Evers: Zu Beginn einer dementiellen Erkrankung tritt meist eine Verschlechterung des Kurzzeitgedächtnisses ein. Weiterhin lassen die Konzentrationsfähigkeit und Denkleistung nach. Auch
die zeitliche und örtliche Orientierung baut ab. Die selbstständigen Alltagsverrichtungen wie Waschen , Kleiden, sich ernähren machen zunehmend Schwierigkeiten.
Warum zieht sich ein Mensch, der an Demenz leidet oft in die Vergangenheit zurück?
Gerd Evers: Der dementiell Erkrankte fühlt sich im Hier und Jetzt nicht wohl, er ist ständig auf der Suche nach Geborgenheit und Sicherheit. Er hofft durch seinen "Rückzug in die Vergangenheit" die verloren gegangenen Fähigkeiten und Fertigkeiten wieder zu erlangen. Es ist gut, ihn dabei zu unterstützen - Dinge gemeinsam zu tun, die ihm oder ihr vertraut vorkommen, bei der er sich sicher fühlen kann.
Heißt das auch, dass ich "mitspielen" sollte, wenn meine Bekannte in die Vergangenheit abtaucht? Onkel Hubert wieder lebendig wird?
Gerd Evers: Viele Verhaltensweisen dementer Menschen werden verständlicher, wenn man sie als "Suche nach Halt” bzw. als Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit versteht. Hat Ihre Bekannte ein
enges Verhältnis zu "Onkel Hubert" gehabt, fühlt sie sich in seiner lebendigen Gegenwart sicher. Wenn Sie Ihre Bekannte in der Situation belassen, in der sie sich gerade befindet, helfen Sie ihr mehr, als sie mit aller Macht da heraus zu holen. Indem man dieses Verhalten für "gültig" (fachl. Validation) erklärt, hat man die Chance, nachzuempfinden, in welcher Gefühlslage sich der erkrankte Mensch gerade befindet und ihn aufzufangen.
Die Verantwortung zu übernehmen, einen Menschen in dieser Krankheit zu begleiten, ist sicher nicht einfach?
Gerd Evers: Es ist eine Mammutaufgabe für jeden pflegenden Angehörigen einen dementiell erkrankten Verwandten Zuhause zu betreuen und zu pflegen. Aus meiner Erfahrung heraus kann ich nur empfehlen
sich beraten und helfen zu lassen. Die Caritas Altenhilfe hat viele Angebote, die Angehörige bei dieser großen Aufgabeunterstützen. Die Sozialstation kann stundenweise die Versorgung Zuhause unterstützen. In der Tagespflege wird Fähigkeiten nachgespürt und durch gezielte Übungen versucht, Ressourcen zu erhalten. In dieser Zeit haben pflegende Angehörige die Möglichkeit, sich eine Auszeit zu nehmen - Kraft zu schöpfen. Steigt die Notwendigkeit, den an Demenz erkrankten Menschen zu schützen, durch eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung sind spezielle Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz eine Alternative. Gesprächskreise für Angehörige ermöglichen, sich mit anderen auszutauschen, die eine ähnliche Situation zu meistern versuchen. Man muss nicht allein mit der Erkrankung fertig werden.